Filmkomponist Andreas Kuse: „Der Sound, der zu KIELympia passt“

Kennen Sie den Kinofilm KIELympia des Zeitzeugenstudios, der in der Pumpe oder in einem anderen Kino in Kiel lief? Dann haben Sie beim ersten Mal wahrscheinlich mehr auf die Bilder und die Interviews mit den Zeitzeugen als auf die Musik und Geräusche geachtet. Doch die Filmmusik ist eine wesentliche Komponente jedes Films, achten Sie doch einfach mal beim zweiten Anschauen darauf.

Wir sprechen mit Andreas Kuse, der als Filmkomponist in Hamburg arbeitet und für KIELympia die Musik erstellt hat.

Wie kamen Sie dazu, sich auf das Komponieren von Filmmusik zu spezialisieren?

Andreas Kuse (oben links im Beitragsfoto): Seit meiner frühesten Kindheit habe ich Musik gemacht. In der Schule haben mich meine Musiklehrer unterstützt, und ich konnte Musik für Ensembles und auch kleine Stücke für Veranstaltungen oder Musicals schreiben. Ich fand das spannend und habe mir später auch mein Studium mit solchen Aufträgen finanziert.

Foto: Helmut Neumann

In den 1970er Jahren waren die Super-8-Filme noch ohne Ton. Beim zweiten Anschauen von KIELympia habe ich dann an einigen Stellen Flöten, Geigen, Klavier, Pauken und Trompeten gehört. Wie gehen Sie vor, wenn Sie die Musik zu einem Film komponieren?

Andreas Kuse: Da gibt es verschiedene Wege, aber keine festen Abläufe – und das finde ich auch spannend an meinem Beruf. Es kann sein, dass ich zum bereits geschnittenen Film für bestimmte Szenen eine Musik komponieren soll. Dann bin ich festgelegt auf die Dauer und muss mir etwas Passendes einfallen lassen.
Bei KIELympia war es jedoch ganz anders. Gerald Grote hat mir von der Idee für den Dokumentarfilm erzählt und mich mit Musikbeispielen aus der damaligen Zeit darauf eingestimmt, welches Grundgefühl der Film vermitteln soll.

Sie haben also zuerst noch gar keine Filmausschnitte gesehen?

Andreas Kuse: Stimmt. Ich wusste nur, welche Themenblöcke es geben wird. Beispielsweise dass es eine Szene zum Einlauf von Uwe Brandenburg mit dem olympischen Feuer in Schildsee geben wird. Später im Film gibt es auch Aufnahmen zu dem Schock des Attentats im Olympiadorf in München und die Frage, wie es danach in Kiel weitergehen wird.
Als Filmkomponist überlege ich mir dann, welcher Sound zu dem Gesamtablauf passen könnte. Ich komme aus der klassischen Musik und kenne mich auch im Jazz und Pop aus. Mit diesem Wissen erzeuge ich verschiedene Melodien, die zu den 1970er Jahren und zu den gefilmten Ereignissen passen.

Screenshot einer Digital Audio Workstation (DAW): Foto von Wikipedia

Wie nehmen Sie die Filmmusik auf?

Andreas Kuse: Zum Komponieren nutze ich meist als erstes Instrument ein echtes Klavier und schreibe die Noten in Papierform auf. Wenn ich die Tonfolgen dann in die digitale Audio-Workstation – kurz DAW – einspiele, kann ich später viele Tonspuren hinzumischen. Bei größeren Filmen sind das im Extremfall 500 bis 600 Spuren, um ein virtuelles Orchester zu simulieren.
Damit die elektronische Musik authentischer wirkt, arbeite ich mit einem Gitarristen zusammen. Stephan Birkmeyer lebt bei mir um die Ecke in Hamburg und hat ein eigenes Aufnahmestudio. Wenn ich zum Beispiel eine Idee für eine Disconummer habe und das Stück grob fertig ist, skizziere ich ihm nur die Akkordsymbole. Er spielt dann auf einer Gitarre aus den 1970er Jahren in seinem Studio frei dazu und schickt mir die Datei. Seine und meine Musik mische ich dann in meinem Computer.
Es gibt zwar auch elektronische Musik, bei der nur digitale Instrumente mitspielen. Die Hörer akzeptieren den Sound aber leichter, wenn sie zusätzlich auch reale, akustische Instrumente hören und wiedererkennen.

Im Film KIELympia springt die Geschichte mit den privaten Super-8-Aufnahmen zwischen 1972 und den Interviews im Zeitzeugenstudio von heute. Wie machen Sie das in der Musik deutlich?

Andreas Kuse: In den meisten Szenen erinnern wir mit der Filmmusik an die 1970er Jahre, an die Emotionen und Stimmungen, die der Geschichte und den Personen innewohnen.

Als Filmkomponist hängen sie im Produktionsprozess meist weit hinten dran. Bei KIELympia waren Sie aber schon früh eingebunden. Was ist dabei die Herausforderung?

Andreas Kuse: Gerald Grote kannte das ganze Material – aber erst im Laufe der Zeit hat er mir die einzelnen Filmszenen geschickt, die bereits fertig geschnitten waren. Wir haben uns immer wieder darüber unterhalten, welche meiner Melodien am besten zu welchen Szenen passen könnten.
Obwohl es einfacher zu berechnen ist, wenn ich den Film von vornherein komplett fertig geliefert bekomme, arbeite ich aber auch gern mal so wie bei KIELympia.

Chris Evans Ironside (rechts) und Andreas Kuse

Der deutsch-britische Filmkomponist Chris Evans-Ironside hatte schon begonnen, in Hamburg die Musik für KIELympia zu komponieren. Leider starb er, und Sie übernahmen seine Aufgabe. Wie gut konnten Sie sich in seine Filmmusik eindenken?

Andreas Kuse: Chris kannte ich schon seit vielen Jahren. Wir hatten zusammen begonnen und daran gearbeitet. Ich musste die Arbeit allein fortführen und habe versucht, auch wenn er nicht mehr da war, seine Art von Musik immer wieder anklingen lassen – entstanden aus unseren Gesprächen und Skizzen.

Bis 2020 komponierte Ennio Morricone die Musik für mehr als 500 Filme. Wie ändert sich Ihre Arbeitsweise als Filmkomponist durch die Künstliche Intelligenz?

Andreas Kuse: Die KI hat große Auswirkungen auf unsere Arbeit, ich benutze auch solche Programme. Aber bei der Filmmusik kommt die KI nicht hinterher, weil die ästhetischen Komponenten und detailreichen Anpassungen von einzelnen Parametern mit künstlichen Systemen schwer zu erfassen sind.
Seit 20 Jahren arbeite ich als Trainer für Filmmusik und Musikdramaturgie und unterrichte Volontäre und Mediengestalter, die beim öffentlichen Rundfunk arbeiten. Mittlerweile mache ich mir wirklich Sorgen um die Verwendung der Filmmusik bei Fernsehspielen, Serien und Filmen. Wahrscheinlich müssen wir noch eine Weile abwarten, um zu sehen, in welche Richtung sich unser Beruf entwickeln wird.

Screenshot einer Digital Audio Workstation (DAW): Foto von Wikipedia

Welche Voraussetzungen muss man für den Beruf als Musikkomponist mitbringen?

Andreas Kuse: Man muss sich mit der Produktionstechnik auskennen und ein umfangreiches Wissen über Filme, Musikrichtungen und den formalen Aufbau eines Films haben. Die Filmmusik soll ja nicht wie ein Flokati-Teppich im Badezimmer sein: weich, kuschelig und nur einfach ohne Bezug unter den Film gelegt.
Eine gelungene Musik- und Geräuschdramaturgie trägt dazu bei, die Gefühlswelt der Protagonisten passend zu den Bildern und Geräuschen in Melodien und Sound zu übersetzen und die Erzählung weiter zu tragen – auch über das Ende des Films hinaus.

Als nächstes Projekt für das Zeitzeugenstudio in Kiel komponieren Sie die Musik für einen Film über den Häuserkampf in den 1980er Jahren in Kiel. Sie erzählten, dass Sie dann auch wieder mit dem Gitarristen Stephan Birkmeyer zusammenarbeiten. Dann werden wir wohl eher Hardcore-Punk als den Popcorn-Song hören. Könnten Sie sich überhaupt etwas anderes als den Beruf des Filmkomponisten vorstellen?

Andreas Kuse: Solange es die Welt und die Wirtschaft zulässt, werde ich versuchen, als Filmkomponist weiter zu arbeiten. Mein Beruf und meine Kunden sind so spannend und abwechslungsreich, dass ich mich immer wieder auf das nächste Projekt freue.