Das Material: Historische Amateurfilme aller Formate kombinieren / Interview mit Gerald Grote vom ZeitZeugenStudio e.V. in Kiel
Sie möchten wissen, wie Ihre Großeltern und Eltern früher in Kiel gelebt haben? Sie wollen sich über ein besonderes Ereignis in Kiel – wie die olympischen Segelwettbewerbe 1972 – informieren? Oder Sie fänden es spannend, die Geschichten von Menschen, Vereinen oder Firmen aus Kiel anhand von Filmen nachzuvollziehen?
Dann können alte Amateurfilme sehr aufschlussreich sein. Der gemeinnützige Verein „Das ZeitZeugenStudio e.V.“ in Kiel sammelt solche privat gedrehten Filme und bereitet sie zu digitalen Videos auf – für Zuhause oder sogar fürs Kino.
Zum Material für historische Amateurfilme beantwortet der Kieler Filmemacher Gerald Grote hier die Fragen, die Sie vielleicht auch immer schon mal stellen wollten.
15 Meter lang, 8 Millimeter breit und nur etwa 3 Minuten Film
>>> Bei Familienfesten, im Urlaub und bei besonderen Ereignissen in den 1970er Jahren holten unsere Großeltern und Eltern stolz ihre Super-8-Kameras heraus – und dann ging’s los. Aber wie liefen solche privaten Dreharbeiten früher eigentlich ab?
Gerald Grote: Der Fortschritt zum Vorgänger „Normal 8“ war, dass man beim „Super 8“ eine Filmkassette einlegen konnte. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – aber damals musste man sich vorher sehr genau überlegen, was man wie lange filmen wollte, denn nach 150 bis 180 Sekunden war alles schon wieder vorbei. Und die Filmentwicklung war ja in den Anfängen auch noch ziemlich teuer.
>>> Ab wann gab es Tonfilme?
Gerald Grote: Amateurfilmern ging es vor allem um das bewegte Bild und weniger um den Originalton. Auslöser war oft die Geburt eines Kindes, man wollte das erste Lächeln und die ersten Schritte für die Verwandten festhalten.
Die Firma Kodak brachte erst in den 1970er Jahren Super-8-Filme mit Ton auf den Markt. Vorher musste man die Stummfilme live kommentieren oder eine Musik dazu spielen.
Und Livemusik gibt es auch immer noch bei unseren Revuen im Kino der Pumpe in Kiel. Der Pianist Ingo Rotkowsky begleitet die stummen Amateurfilme, die das ZeitZeugenStudio e.V. digitalisiert hat, am Flügel.
Quelle: Wikimedia Commons, Dnalor 01, Lizenz CC-BY-SA 3.0 at
Das ZeitZeugenStudio e.V. in Kiel nutzt alte Vorführgeräte, um den Magnet-Ton der Amateurfilme besser abnehmen zu können
>>> Sie arbeiten beim ZeitZeugenStudio e.V. in Kiel mit. Bekommen Sie von den Bürgerinnen und Bürgern auch 16mm-Filme zur Verfügung gestellt?
Gerald Grote: Ja, in unserem Archiv haben wir Filmrollen in allen Formaten:
- 8mm normal
- 8mm super
- 9,5 mm (französisches Format)
- 16 mm
Außerdem gäbe es noch die Kinoformate, aber damit Amateurfilmer ja nichts zu tun:
- Kinoformat 35mm
- Super-Breitwandformat 35mm
Und das ist manchmal auch das Problem, wenn wir alle Schmalfilmformate für einen Dokumentarfilm verarbeiten wollen.
Früher brauchte man Abspielgeräte für die unterschiedlichen Filmformate, heutzutage kann man einen Filmscanner auf die jeweiligen Filmformate einstellen. Technisch ist das heutzutage alles keine Hexerei mehr.
Quelle: Wikimedia commons, CEphoto, Uwe Aranas, CC BY-SA 3.0
Digitalisierte Amateurfilme für die Nachwelt erhalten
>>> Seit 2001 gibt es ein Europäisches Übereinkommen zum Schutze des audio-visuellen Erbes. Was ist darunter zu verstehen?
Gerald Grote: Man könnte denken, dass es ausreichen müsste, professionelle Produktionen zu archivieren. Ergänzt werden sollten solche „offiziell“ verwalteten Filmdokumente unbedingt durch die vielen belichteten Filmmeter von Amateuren, die Privatleute mittlerweile vermehrt den Stadtarchiven wie in Kiel zur Einlagerung anbieten.
Dort ist man aber gar nicht darauf eingerichtet, Amateurfilme zu digitalisieren, fachgerecht zu lagern, inhaltlich zu bewerten und einem Publikum zugänglich zu machen.
Quelle: Wikipedia Commons, NEEEP, Lizenz CC BY-SA 4.0
Das ZeitZeugenStudio e.V. in Kiel schneidet mehrere Amateurfilme zusammen, um eine komplette Geschichte zu erzählen
>>> Warum genügt es nicht, dass die Stadtarchive von Privatleuten erstellte Filmdokumente aufbewahren?
Gerald Grote: Wer sich wie ich ehrenamtlich in einem gemeinnützigen Verein wie dem ZeitZeugenStudio engagiert, steckt viel Herzblut in die Aufarbeitung der Amateurfilme. Wir arbeiten mit mehreren Experten eng zusammen, um aus vielen kurzen Filmschnipseln ein neues Ganzes zu schneiden, damit die lokale, regionale und landesweite Geschichte auch weiterhin öffentlich sichtbar bleibt.
Wir gehen also viel weiter, als es die Stadtarchive könne, denn wir erzählen komplette Geschichten, die den Alltag und das Besondere in Kiel erlebbar machen. Vor allem im Kino wird das Publikum zu emotionalen Zeitzeugen, wozu auch die extra dafür komponierte Filmmusik beiträgt.
Das ZeitZeugenStudio e.V. in Kiel begeistert auch junge Menschen für alte Amateurfilme
>>> Warum beschäftigen Sie sich so gern mit den Amateurfilmen von Kieler Bürgerinnen und Bürgern?
Gerald Grote: Schon allein die Auseinandersetzung mit der Filmtechnik finde ich spannend. Die Film-Amateure produzierten ihre Filme zuerst in ruckartigem Schwarz-Weiß, später dann in gezoomter Buntheit.
Die damalige Mode, die Frisuren, die Farben, die Automobile – all das ergibt für mich eine bislang unbekannte, schnörkellos authentische Perspektive auf das Leben der Generation unserer Großeltern und Eltern, die wir sonst nur vom Hörensagen kennen.
>>> Was beobachten Sie bei den monatlichen Filmvorführungen im Kino in der Pumpe und anderswo: Meinen Sie, dass die junge Generation überhaupt an der privaten Vergangenheit von anderen Kieler Bürgerinnen und Bürgern interessiert ist?
Gerald Grote: Zurzeit kommen vor allem ältere Menschen zu unseren Filmvorführungen. Wenn wir aber Schulklassen oder einzelnen Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern zu Gast haben, ist schon zu erkennen, dass sich einige für die alte Filmtechnik und die Zeitgeschichte interessieren.
Quelle: Wikimedia Commons, Hannes Grobe, Lizenz CC BY 3.0
Privat gedrehte Super 8 Filme: TikTok-Generation erhält spannende Einblicke in das Alltagsleben der Großeltern
>>> Kinder und Jugendliche von heute sind umgeben von einer wahren Bilderflut. Glauben Sie, dass die Videos der jetzigen TikTok-Generation auch in einem Filmarchiv landen?
Gerald Grote: Eher nicht. Denn die Bilder sind beliebig, die sich ständig wandelnden Speicherformate wird man später nicht mehr lesen können, die Fülle der Daten müsste sorgsam beschriftet und nachvollziehbar betiteln – all das widerspricht der Güte, mit der Amateurfilme früher ihre Schätze bewahrt haben.
Das Internet ist voll von digitalen Momentaufnahmen, die Privatleute täglich millionenfach mit anderen teilen. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass man in dieses Datenwirrwarr ordnen könnte. Daran müssten Tausende von KIs arbeiten, wobei immer noch die Frage wäre, wer das alles koordinieren will.